Noch vor vier Jahren, kurz bevor mein erstes Kind zur Welt kam, war ich ein verunsichertes, kleines Mädchen. Ich arbeitete als Teamassistentin erst in einer Spedition, dann in einem Ingenieurbüro, weit unter meinen Möglichkeiten. Denn ich wollte Familie und redete mir ein, so sei es am besten. Heute, kurz vor meiner zweiten Elternzeit, weiß ich: Kinder und Karriere, das geht jetzt besser denn je! Und zwar aus diesen Gründen:
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Fachkräftemangel
2009 musste ich um eine Ausbildungsstelle regelrecht betteln und das trotz Fachabitur. Ich erhielt zig Absagen von renommierten Verlagen und landete schließlich bei einem eher unbedeutenden Unternehmen. 2014 brach ich nach vier Semestern mein Studium ab (beste Entscheidung!) und wurde von Personalagenturen mit der Begründung abgewiesen, dass mir ein Studienabschluss fehlte. Den hätte inzwischen ja schließlich jede*r. 2020 kann ich mich vor Jobangeboten von namhaften Firmen, Headhunter*innen und Personalagenturen kaum retten. Und das trotz der Tatsache, dass ich erstens auf dem Papier nicht bombenmäßig qualifiziert bin. Zweitens eine Frau (ohja, auch 2020 noch ein Thema). Und drittens eine schwangere Mutter in Teilzeit. Buhja! Ich würde sagen, der Fachkräftemangel spielt uns Ladies gerade mächtig in die Karten. Denn so traurig wie es klingt: Unternehmen sind inzwischen auf jede qualifizierte Arbeitskraft angewiesen. Egal zu welchen Bedingungen. Den perfekten weißen, männlichen Vollzeitkandidaten, der sich nach dem Studium dankbar ausbeuten lässt, gibt es nicht mehr.
Jedes zweite Unternehmen strauchelt inzwischen bei der Personalsuche und fällt, gelinde gesagt, damit so richtig auf die Schnauze. Das tut vor allem deshalb so weh, weil die Aufträge ja da wären – nicht aber das Personal. Fachkräfteengpässe hemmen die deutsche Wirtschaft stärker als mangelnder Umsatz oder Finanzierungsprobleme. Bedeutet, Frauen – ob mit oder ohne Kinder – können bei der Jobsuche ruhig dreiste Forderungen stellen. #IronieSchalterAn So was wie eine faire Bezahlung, Vereinbarkeitsangebote und Führung in Teilzeit. #IronieSchalterAus Wir Mütter sind dank des Fachkräftemangels auf dem Arbeitsmarkt nicht länger weniger wert, sondern genau genommen doppelt so viel: Denn wir sind nicht nur hochqualifizierte Arbeitskräfte, die den Unternehmen jetzt schon den Arsch retten können, sondern ziehen gleichzeitig auch noch die Fachkräfte von Morgen groß. Schade allerdings, dass diese Erkenntnis so spät kommt.
Ausbildungsniveau
Eine Frau zu sein hat schon den ein oder anderen Vorteil: Sich hochschlafen zu können, um Karriere zu machen, zum Beispiel. Oder mit unserer Anatomie (schönen Augen) auf uns aufmerksam zu machen. Ist ja auch ein Talent. Ich erinnere mich da an meinen ersten Job, den ich bekam, weil ich fleißig war und wusste, was ich wollte. Gleich nach der Ausbildung landete ich in meiner Traumposition und wurde, man stelle sich das mal vor, gut dafür bezahlt. Allerdings nur deshalb, wie mir später zu Ohren kam, weil ich „bestimmt irgendwas mit dem Chef am Laufen“ hatte. Öhm ja. Nicht wirklich. Ich machte meinen Job einfach gut und war, zugegeben, schon immer ein bisschen weniger bescheiden als andere Frauen. Das Klischee vom dummen Blondchen hält sich indes hartnäckig. Männer sind eben besser qualifiziert. Können einfach strukturierter denken und machen das meiste intuitiv schneller richtig. Frauen haben ja auch deshalb so kleine Hände, damit sie beim Putzen leichter in die Ecken kommen. Kurzes Schmunzeln. Naja, mit uns Frauen ist das so eine Sache. Wir werden gerne mal unterschätzt. Doch inzwischen sind wir nicht nur zahlenmäßig überlegen, sondern auch noch gleich gut bis besser qualifiziert als unsere männlichen Mitstreiter. Klingt nach einer Kampfansage, die noch nicht bei jeder und jedem angekommen zu sein scheint.
Female Recruiting
Was mich zum nächsten Punkt bringt: Female Recruiting. Ach, was für ein nieeedlicher Begriff. So plüschig. So rosa. So girly! Das kann nur einem männlichen Marketinggenie eingefallen sein. „Wir brauchen noch irgendwas Employer-Branding-mäßiges!“ Könnte man meinen. In Wirklichkeit ist die Neuausrichtung des Recruitings von Unternehmen simple Mathematik. So nach dem Motto: „Wenn mehr als die Hälfte der Bevölkerung weiblich ist, sollten wir mal darüber nachdenken, auch Frauen anzusprechen.“ Joa, macht voll Sinn. Daumen nach oben. An alle Feminist*innen, die jetzt auf die Barrikaden gehen, warum es den Begriff „Male Recruiting“ noch nicht gibt (zu denen gehöre ich übrigens oft genug selbst). Das nennt man dann einfach „Recruiting“. Isso. Erst kürzlich wurde ich zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, WEIL ich eine Frau bin. Soweit ist es schon. Ich finde das ja großartig, denn wie oft wurde ich schon NICHT eingeladen, weil ich eine Frau im gebärfähigen Alter bin? Und nicht nur ich! Ich musste bereits in zwei Unternehmen, in denen ich angestellt war, aktiv dafür kämpfen, dass man Frauen zwischen 20 und 40 überhaupt als meine Nachfolgerinnen in Betracht zog. Schwangerschaften sind aber auch ein unkalkulierbares, wirtschaftliches Risiko. Meine Güte, da habt ihr ihn, den Fachkräftemangel. Idiot*innen. Traumhafte Zeiten also für weibliche Bewerberinnen. Grins. Go for it!
Female Empowerment
Ein Hoch auf Female Empowerment! Unternehmen wollen das gerade. Auf Teufel komm raus. Wirklich. Alles, was weiblich ist, wird gerade supportet. Und ich sage das eigentlich ganz ironiefrei. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich das früher schon mal behaupten konnte. Meine Mentoren waren seit der Schulzeit vor allem Männer. Männer, die an mich geglaubt haben. Wie mein Deutschlehrer, der meine Gedichte als einziger so richtig toll fand. Oder mein Englischlehrer, der mir lieber eine eins minus als eine zwei plus gab. Und Männer, die mich eingestellt haben. Wie mein erster Chef, der seine Entscheidung sicher sehr schnell bereut hat. Frauen machten mir in meiner Erinnerung oftmals eher das Leben schwer. Wie meine Erstklasslehrerin, die mich „zu eigenwillig“ nannte und mich einmal sogar an den Haaren zog. Ziemlich uncool. Aber heute ist das anders. Ohne die bedingungslose Unterstützung starker Frauen wäre ich … genau … immer noch Aissistentin von und vermutlich pleite trotz Vierzig-Stunden-Woche. Female Empowerment gehört mittlerweile in Unternehmen zum guten Ton. Frauen erhalten Vertrauensvorschüsse, weil sie Frauen sind. Das ist insofern okay, weil das für Männer auch jahrhundertelang galt. Frauennetzwerke boomen und sorgen dafür, dass Mütter wie ich grandiose Jobs bekommen. Von Ellenbogenschubsen, um die eigene Position in einer Welt voller Männer zu stärken, keine Spur mehr. Ganz im Gegenteil #WomenSupportWoman ist ein neuer Volkssport geworden und es würde mich nicht wundern, wenn erfolgreiche Frauen Karmastrichlisten führen. Heute schon einer Frau eine großartige Chance ermöglicht? Noch nicht? Dann shame on you! Eine Hand wäscht schließlich die andere. Einfaches Netzwerker*innenprinzip. Das haben jetzt auch wir Frauen verstanden. Unternehmen suchen aktiv Frauen, die nicht nur mit Qualifikation und Motivation überzeugen, sondern auch bereit sind Female Empowerment intern voranzutreiben. Übrigens kein Wunschdenken, sondern Fakt.
Digitalisierung
„Vereinbarkeit“ ist für mich das Unwort des Jahres. Vielleicht weil ich es als HR-Redakteurin so häufig verwende(n muss). Vielleicht aber auch, weil sie sich für die meisten Menschen bisher als gemeine Lüge entpuppt hat. Doppelbelastung als Vereinbarkeit? Wieder eine Rechnung, die nicht aufgeht. Deshalb ist die Digitalisierung ein ganz entscheidender Faktor, um die lebenslange Karriere von uns Frauen voranzutreiben. Nach meiner ersten Elternzeit kehrte ich regulär dreißig Stunden pro Woche zurück in den Job und musste für die Fahrten ins Büro locker nochmal zehn bis fünfzehn Stunden drauflegen. Flexibilität gab es nur in Form von Überstunden, für die ich jederzeit einsatzbereit sein musste. Termine und Events wurden ganz selbstverständlich auf meinen freien Freitag gelegt. Chancen muss man sich schließlich verdienen. Wer dazu nicht bereit ist, hat keine Karriere verdient. Thank you and goodbye. Mit erfolgreicher „Vereinbarkeit“ hatte das nichts zu tun. Erst New Work ermöglicht es mir, in jeder Phase meines Lebens die Familie mit meinem Job in Einklang zu bringen. Ich habe jetzt einen digitalen Arbeitsplatz mit größtmöglicher zeitlicher und räumlicher Flexibilität. Ich muss auf mein Zeitkontingent (das ich mir variabel so einteile wie ich das stemmen kann) keine Fahrtzeiten draufrechnen und kann mein Kind (selbst) vom Kindergarten abholen. Zeit ist Geld, das ist nicht nur ein Spruch, sondern bittere Realität. Beides schenkt man nicht einfach so her. Wir sind durch Home-Office und Remote Jobs nicht mehr so stark an einen Arbeitsort gebunden und Fahrtzeiten können (endlich) entweder durch mehr Zeit mit der Familie oder ein besseres Gehalt ersetzt werden. Aus Erfahrung kann ich sagen, digital Teil eines Teams zu sein, funktioniert mindestens genauso gut, wenn nicht besser, als live anwesend zu sein. Denn wie viel Zeit in Unternehmen mit Kaffetrinken, sich wichtig machen und unstrukturierten Meetings draufgeht, geht auf keine Kuhhaut. Eine meiner Mitarbeiterinnen habe ich beispielweise noch nie gesehen. Weder von Angesicht zu Angesicht noch über einen Bildschirm. Das Vertrauen ist trotzdem da und die Zusammenarbeit klappt einwandfrei. Sogar ganz ohne Machtkämpfe und Zickenterror. Distanz schafft Nähe – nicht erst seit Corona.
Mein Fazit: Ich habe die letzten Jahre viel verstanden. Positive Gedanken und Taten sind zweifelsohne machtvolle Instrumente für mehr Gleichberechtigung. Doch der wahre Schlüssel zum Karriereerfolg sind konkrete Forderungen! Gerade sind wir Frauen und Mütter, wie nie zuvor, in einer perfekten Verhandlungsposition. Denn wann waren wir jemals so begehrt, so gut ausgebildet, so stark und gleichzeitig so selbstbestimmt in der Art wie wir unseren Arbeitsplatz gestalten?
Quellen: marktundmittelstand.de | kofa.de | superheldin.io | erfolgsfaktor-familie.de